© Hans Witschi, Landscape 30, 2022, Oil on primed cotton, 24 x 30 cm
PERMORMANCE BRUNO JAKOB & HANS WITSCHI (March 16, 2023)
English version, see below
Die neuen Werke '"BEGINNINGS" beziehen sich auf meine traumartigen Landschaften von 1980. Beide Serien haben eines gemeinsam, es fehlen jegliche kulturelle Indizien, kein Haus, keine Figur. Es scheint als stünde die Landschaft ausserhalb einer Geschichte. (Hans Witschi)
«BEGINNINGS»
Empfindung und Reflexion leiten den Maler Hans Witschi (*1954 Luzern) bei seiner Arbeit. Ein offensichtlicher Widerspruch, denn die klassische Philosophie bezeichnet Fühlen und Denken als Gegensätze, wonach die Vernunft jederzeit das Gefühl unter Kontrolle halten muss. Das Anliegen des in New York lebenden Künstlers jedoch ist es, in seinen Werken eine gefühlte Wirklichkeit darzustellen. Intuitiv setzt er den Pinsel auf die Leinwand und gibt das Kunstwerk zur freien Disposition - im Bewusstsein, dass bei der Betrachter:in deren persönliche Geschichte auf diejenige des Künstlers treffen wird. Es liegt im Auge der Betrachter:in zu entscheiden, ob die roten und orangen Pinselstriche eine Morgendämmerung über dem Zürichsee oder die verbrannte Ödnis nach einem atomaren Desaster beschreiben. Die einzelnen Werke der neuen Bildreihe «Beginnings» zeigen viel ausgespartes Weiss und fein lasierte Bunttöne unter plastischen Farbformationen, welche als Landschaften, aber auch als abstrakte Studien gelesen werden können. Bewusst fehlt eine Referenz zu den Grössenverhältnissen und es ist unklar, wo die Landschaftsszene endet und der Hintergrund in seiner unendlichen Tiefe beginnt. Ist es die Hölle, der Himmel oder einfach ein Traum..?
Das hintergründig Unheimliche in den Bildern entsteht aus der Ambivalenz zwischen fröhlicher Farbsetzung und der unergründlichen Tiefe hinter dem Horizont. Mit den sprechenden Landschaften zeigt Hans Witschi grosse erzählende Kunst. Alles ist da, das Ende und der Anfang, destilliert auf einen Punkt der gefühlten Unendlichkeit, innere und äussere Landschaften bilden ein Bildmoment. Die Dimensionen aus Zeit und Raum verschmelzen im Ausstellungsraum, denn zu den Werken aus 2021 und 2022 zeigt die Schau auch frühe grossformatige Landschaftsbilder aus den 80er Jahren. Aus der hohen Perspektive eines Flugvogels scheint hier die Welt im grossen Spektrum der Blautöne unter den letzten Lichtstrahlen des Sonnenuntergangs ins Dunkel zu versinken - ist es die Apokalypse selbst?
Der Körper ist jener Ort, worin die Gedanken und Empfindungen entstehen. In Anbetracht dieser Tatsache erscheint das Schaffen des Künstlers Hans Witschi als Ausdruck innerer Lebendigkeit und Chaos: Dinge entstehen, blühen auf, vergehen und entstehen neu. Die Vision eines Körpers als Begrenzung und Verweigerung - wie es eigentlich eine frühe Versehrtheit aus Kindertagen erwarten liesse - zeigt sich bei Hans Witschi als irreführend. Im Gegenteil, mit seiner sensiblen Sicht als Aussenseiter erforscht er in «Beginnings» die Weite und das Unbekannte. Denn aus der Perspektive dieser eigenwilligen Künstlerposition ist in Gedanken alles möglich und das Unsichtbare sichtbar. Wir verstehen, dass die Welt, in der wir leben, nur eine von vielen möglichen Welten ist.
Johanna Encrantz
«Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können». Friedrich Nietzsche
English version
My new paintings, which I call "BEGINNINGS", refer to my dreamlike landscapes of 1980. Both series have one thing in common, they lack any cultural indications, no house, no figure. It seems as if the landscape is standing outside of history. (Hans Witschi)
«BEGINNINGS»
Sensation and reflection guide the painter Hans Witschi (*1954 Lucerne) in his work. An obvious contradiction, because classical philosophy describes feeling and thinking as opposites, according to which reason must keep feeling under control at all times. The concern of the New York-based artist, however, is to depict a felt reality in his works. Intuitively he puts the brush on the canvas and gives the work of art to the free disposition - in the awareness that with the viewer:in their personal history will meet that of the artist. It is in the eye of the beholder to decide whether the red and orange brushstrokes describe a dawn over Lake Zurich or the scorched wasteland after a nuclear disaster. The individual works in the new series of paintings "Beginnings" show a lot of omitted white and finely glazed color tones under sculptured color formations, which can be read as landscapes, but also as abstract studies. There is a deliberate lack of reference to scale and it is unclear where the landscape scene ends and the background begins in its infinite depth. Is it hell, heaven or simply a dream...?
The enigmatic eeriness in the pictures arises from the ambivalence between cheerful coloring and the unfathomable depth beyond the horizon. With the speaking landscapes Hans Witschi shows great narrative art. Everything is there, the end and the beginning, distilled to a point of perceived infinity, inner and outer landscapes form a pictorial moment. The dimensions of time and space merge in the exhibition space, as in addition to the works from 2021 and 2022, the show also features early large-scale landscape paintings from the 1980s. From the high perspective of a bird of flight, the world here seems to sink into darkness in the great spectrum of blue tones under the last rays of sunset - is it the apocalypse itself?
The body is the place where thoughts and sensations originate. In view of this fact, the work of the artist Hans Witschi appears as an expression of inner liveliness and chaos: things arise, blossom, pass away and arise anew. The vision of a body as limitation and denial - as would actually be expected from an early infirmity from childhood - proves to be misleading in Hans Witschi's work. On the contrary, with his sensitive view as an outsider, he explores the vastness and the unknown in "Beginnings". From the perspective of this idiosyncratic artist's position, everything is possible in thought and the invisible is visible. We understand that the world we live in, is only one of many possible worlds.
Johanna Encrantz
"I tell you: you still have chaos in yourselves to give birth to a dancing star". Friedrich Nietzsche
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